Finanzierung

Factoring – der Liquiditätsturbo

Wie Unternehmen mittels Forderungsverkauf auch in Krisenzeiten liquide bleiben.

Die Her­aus­for­de­run­gen für Un­ter­neh­men in Deutsch­land wer­den nicht klei­ner. Denn ob­wohl et­wa die vom ZEW – Leib­niz-Zen­trum für Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts­for­schung ge­mes­se­nen Kon­junk­tur­er­war­tun­gen der Fi­nanz­markt­ex­per­tin­nen und -ex­per­ten im Früh­jahr deut­lich an­stie­gen und sich laut dem KfW-ifo-Mit­tel­stands­ba­ro­me­ter vom April die Stim­mung un­ter den mit­tel­stän­di­schen Un­ter­neh­men zu­letzt spür­bar auf­hell­te, ist der er­sehn­te Auf­schwung bis­her aus­ge­blie­ben.

„Die ak­tu­el­le La­ge der Un­ter­neh­men ist mau, in der In­dus­trie so­gar schlecht. Die Er­war­tun­gen zei­gen kei­ne kraft­vol­le Auf­wärts­be­we­gun­g“, sag­te DIHK-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Mar­tin Wans­le­ben an­läss­lich der Vor­stel­lung der DIHK-Kon­junk­tur­um­fra­ge Früh­som­mer 2024 im Mai. Die Hoff­nung, dass ein gu­tes Aus­lands­ge­schäft oder ei­ne wie­der an­zie­hen­de In­lands­nach­fra­ge als Mo­tor der hei­mi­schen Un­ter­neh­men wir­ken könn­te, ha­be sich nicht be­stä­tigt. Statt­des­sen hiel­ten ei­ne schwa­che Bin­nen­kon­junk­tur und hand­fes­te struk­tu­rel­le Her­aus­for­de­run­gen die Wirt­schaft wei­ter­hin im Griff.

Die ge­trüb­te Stim­mung drückt auch auf die In­ves­ti­ti­ons­be­reit­schaft im In­land. Je­des drit­te Un­ter­neh­men plant, ent­spre­chen­de Aus­ga­ben in Deutsch­land zu ver­rin­gern, nur noch knapp ein Vier­tel will 2024 mehr in­ves­tie­ren. doch die Prei­se für En­er­gie und Vor­pro­duk­te ver­har­ren wei­ter auf ho­hen Ni­veaus. Zu­dem ist trotz der zu­letzt po­si­ti­ven Si­gna­le die Ent­wick­lung der Nach­fra­ge aus dem Aus­land wei­ter mit Un­si­cher­hei­ten be­haf­tet. Im In­land macht den Un­ter­neh­men vor al­lem die In­ves­ti­ti­ons­schwä­che zu schaf­fen. „Die Aus­rüs­tungs­in­ves­ti­tio­nen der Un­ter­neh­men wer­den auch En­de die­ses Jah­res noch nicht das Vor­kri­sen­ni­veau von 2019 er­reicht ha­ben“, er­war­tet Mar­tin Wans­le­ben, Haupt­ge­schäfts­füh­rer der Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer (DIHK). Da­bei wä­re ge­ra­de jetzt mehr fi­nan­zi­el­les En­ga­ge­ment er­for­der­lich, um Her­aus­for­de­run­gen wie den Struk­tur­wan­del, die grü­ne Trans­for­ma­ti­on der Wirt­schaft, den Fach­kräf­te­man­gel oder die Di­ver­si­fi­zie­rung von Lie­fer­ket­ten lang­fris­tig meis­tern zu kön­nen.

Finanzierungsalternativen dringend gesucht

Das Pro­blem: Im ak­tu­el­len Um­feld wird ist es für Un­ter­neh­men oft im­mer schwie­ri­ger­schwie­rig, selbst drin­gend er­for­der­li­che In­ves­ti­tio­nen zu fi­nan­zie­ren – das gilt vor al­lem für Fir­men oh­ne Preis­set­zungs­macht, die zu­neh­mend mit sin­ken­den Er­trä­gen und Li­qui­di­täts­eng­päs­sen zu kämp­fen ha­ben. Denn ei­ne sol­che Ge­men­ge­la­ge kann sich ne­ga­tiv auf die Un­ter­neh­mens­ra­tings und so­mit die Kre­dit­ver­ga­be aus­wir­ken. Nach­dem die KfW-ifo-Kre­dit­hür­de für die klei­nen und mitt­le­ren Un­ter­neh­men (KMU) im drit­ten Quar­tal 2023 mit 31,7 Pro­zent ei­nen neu­en­neu­en Höchst­wert er­reicht hat­te (seit Än­de­rung der Be­rech­nungs­me­tho­dik im Jahr 2017), zeich­ne­te sich bei den Kre­dit­re­strik­tio­nen zwar zu­letzt ei­ne leich­te Ent­span­nung ab. Je­doch be­ur­teil­ten im ers­ten Quar­tal 2024 noch im­mer mehr als ein Vier­tel der klei­nen und mitt­le­ren Un­ter­neh­men das Ban­ken­ver­hal­ten in Kre­dit­ver­hand­lun­gen als re­strik­tiv. Bei den Gro­ß­un­ter­neh­men be­rich­te­te je­de fünf­te Fir­ma von schwie­ri­gen Kre­dit­ver­hand­lun­gen.

Factoring – die etablierte Finanzierungsalternative

Vor diesem Hintergrund könnte sich Factoring, also der Forderungsverkauf, als intelligente Finanzierungsalternative anbieten. Die Zahl der Unternehmen, die auf die Vorfinanzierung von Forderungen aus Lieferungen und Dienstleistungen durch eine Factoring-Gesellschaft (den sogenannten Factor) setzen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Nach Angaben des Deutschen Factoring-Verbands nutzten 20232 mehr als 1056.000 Firmen in Deutschland Factoring, darunter sowohl kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als auch große Konzerne. Die Factoring-quote, also das Verhältnis zwischen dem angekauften Factoring-Forderungsvolumen und dem Bruttoinlandsprodukt, lag bei 9,37 Prozent.

 

So funktioniert Factoring

Die wichtigsten Factoring-Arten im Überblick

  1. Inhouse-Factoring

    Beim Inhouse-Factoring übernimmt der Factor die Finanzierungs- und Delkrederefunktion. Das Debitorenmanagement verbleibt treuhänderisch beim Factoring-Kunden. Zahlungen der Schuldner gehen auf das Konto des Factors oder auf an ihn verpfändete Konten.

  2. Finanz-Factoring

    Beim Finanz-Factoring übernimmt der Factor nur die Finanzierungs- und Delkrederefunktion. Das Debitorenmanagement verbleibt treuhänderisch beim Factoring-Kunden. Die Zahlungen der Schuldner erfolgen unverändert an den Factoring-Kunden. Im Rahmen vertraglich vereinbarter Abrechnungsturnusse werden neu angekaufte Forderungen und Zahlungen der Schuldner für an den Factor verkaufte Forderungen abgerechnet. Die Konten des Factoring-Kunden werden nicht verpfändet.

Unterschieden wird grundsätzlich noch in stilles und offenes Factoring. Beim stillen Factoring legt der Factoring-Kunde seinen Debitoren die Forderungsabtretung nicht offen. Beim offenen Verfahren werden die Debitoren über den Forderungsverkauf informiert. Kommt Factoring im grenzüberschreitenden Warenverkehr zum Einsatz, spricht man von Export- bzw. Import-Factoring. Eine Sonderform ist das Lieferanten- oder Reverse-Factoring. Dabei finanziert der Factor Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten des Factoring-Kunden. Damit können Liquiditätsengpässe beim Einkauf vermieden und den Lieferanten die nötige Liquidität verschafft werden, um einen Auftrag termingerecht auszuführen.

Factoring: Viele Vorteile

Für die Factoring-Kunden ergibt sich aus dem Forderungsverkauf eine Reihe von Vorteilen:

  • Mehr Liquidität: Durch die sofortige Verfügbarkeit von Forderungen verbessern Factoring-Kunden ihren Cashflow und erhöhen umsatzkongruent ihre Liquidität. Dadurch können sie zum Beispiel Forderungen schneller begleichen und Skontovorteile nutzen.
  • Optimierung der Bilanz: Mit dem Forderungsverkauf reduzieren Unternehmen ihr Working Capital und optimieren so ihre Bilanzen. Das bringt Vorteile beim Kreditrating und sorgt für verbesserte Finanzierungsbedingungen.
  • Schutz vor Forderungsausfällen: Die vollständige Risikoabsicherung für den Delkrederefall hilft unter anderem dabei, Kreditvereinbarungen beziehungsweise Covenants einzuhalten.

Für die Vorfinanzierung der Forderungen berechnet der Factor einen Preis. Dieser richtet sich unter anderem nach der Zahl der Forderungen, der Zahl der Debitoren sowie deren Bonitäten. Die Konditionen werden in einem Rahmenvertrag festgehalten.

Besonders geeignet ist Factoring für Unternehmen in der Lieferkette, die sich auf Kundenseite mit langfristigen Zahlungszielen und auf Lieferantenseite mit kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen konfrontiert sehen. „Für viele, auch international agierende Kunden ist Factoring ein essenzieller Teil ihrer Finanzplanung“, sagt Dinko Mehmedagic, Geschäftsführer der PB Factoring GmbH (siehe auch Interview unten), der Factoring-Gesellschaft des Deutsche Bank Konzerns. „Mit dem Verkauf ihrer Forderungen erhalten sie sofort Liquidität, die sie zum Beispiel für das schnelle Bezahlen der eigenen Rechnungen nutzen können“, ergänzt der Factoring-Experte. Die PB Factoring setzt bei ihrem Angebot auf weitgehend digitalisierte Prozesse. Jeder Kunde hat Zugang zum Kundenportal und übermittelt seine Debitoren- bzw. Forderungsdaten online. Das System prüft dann, ob der Schuldner bereits bekannt ist und inwieweit – und zu welchen Konditionen – die Forderung übernommen werden kann. Die Kunden können das Kundenportal jederzeit nutzen, um alle Details bis hin zur einzelnen Forderung abzurufen.

Mit Factoring nachhaltig finanzieren

Um Kunden bei ihren grünen Transformationsanstrengungen zu unterstützen, bieten erste Factoring-Gesellschaften sogenannte ESG-gelinkte Produkte an. Die drei Buchstaben E, S und G beschreiben die zentralen nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Das Nachhaltigkeits-Factoring der PB Factoring GmbH etwa wird an spezifischen Nachhaltigkeitsleistungszielen (engl.: Sustainability Performance Targets) beziehungsweise entsprechenden Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators, kurz KPI) festgemacht. Denkbare Ziele können zum Beispiel das Erreichen eines qualifizierten ESG-Ratings einer Ratingagentur oder eine bestimmte Reduzierung des CO2-Ausstoßes sowie Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Produktionsanlagen oder zur Umstellung des Fuhrparks auf Fahrzeuge mit alternativen Antrieben sein.

Interview

Dinko Mehmedagic, Geschäftsführer der PB Factoring GmbH

Wie hat sich der Factoring-Markt in Deutschland zuletzt entwickelt?

Din­ko Meh­me­da­gic: Der Fac­to­ring-Markt in Deutsch­land zeich­net sich be­reits seit vie­len Jah­ren durch ein über­durch­schnitt­li­ches Wachs­tum aus, das deut­lich über je­nem des Brut­to­in­lands­pro­dukts liegt. Im Jahr 2023 ist der deut­sche Fac­to­ring­markt um rund 3,1 Pro­zent auf et­wa 384 Mil­li­ar­den Eu­ro ge­wach­sen.

Welche Rolle spielen Warenkreditversicherungen beim Factoring und was bedeutet in diesem Zusammenhang „True Sale“?

In der Regel werden Forderungen, die von Factoring-Unternehmen angekauft werden, durch Warenkreditversicherer abgesichert. Entweder hat der Factoring-Kunde bereits eine Warenkreditversicherung oder der Factor schließt eine solche ab. Im Durchschnitt werden damit rund 90 Prozent der Nettoforderungen abgesichert. Der nicht entsprechend abgesicherte Anteil wird als Blankorisiko vom Factor in seine Bücher genommen. „True Sale“ bedeutet, dass 100 Prozent der Forderungen durch den Factor angekauft und somit auch 100 Prozent des Ausfallrisikos (Delkredere) übernommen werden. Damit wird dem Factoring-Kunden die Optimierung seiner Bilanz ermöglicht. 

Ist Factoring eher eine Lösung für Unternehmen mit schwacher oder sich verschlechternder Bonität?

Das können wir so nicht beobachten. Im Gegenteil: Wir sehen ein sehr großes Interesse von Unternehmen mit einer sehr guten Bonität und Liquidität. Diese nutzen Factoring verstärkt als zusätzliches Finanzierungsinstrument in ihrem Finanzierungsmix. Gründe dafür sind die inzwischen sehr einfache Abwicklung, kompetitive Preise und die Möglichkeit, die eigenen Finanzierungskapazitäten bei den Banken oder auf dem Kapitalmarkt zu schonen. Auch gibt es vermehrt Unternehmen, die bestehende ABS- oder ABCP-Programme in Factoring-Programme überführen, da Letztere unter anderem sehr flexibel bei Veränderungen in der Struktur sind, deutlich schlankere Vertragsstrukturen haben und unabhängig von Volatilitäten im Kapitalmarkt beziehungsweise bei Investoren sind. Zudem entlasten Factoring-Programme die Treasury-Ressourcen, weil sie deutlich schlanker sind, zum Beispiel bei den Reporting-Anforderungen.

Alle Angaben ohne Gewähr; Erstveröffentlichung: 06/23; aktualisiert: 05/24
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