Die gute Nachricht zuerst: Die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland sah sich im September weiterhin in der Lage, die hohen Energiekosten längerfristig zu schultern. Das hat eine Sondererhebung von KfW Research zum KfW-Mittelstandspanel ergeben. Viele Unternehmen können demnach die Belastung mindern, indem sie einen Teil der Kostensteigerungen an ihre Kunden weitergeben, Energieeinsparmaßnahmen umsetzen und in erneuerbare Energien investieren. Nichtsdestotrotz stellen die seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Energiepreise für fast zwei Drittel aller mittelständischen Unternehmen eine Belastung dar. Rund jeder siebte Mittelständler sieht sich aktuell nicht in der Lage, anhaltend hohe Energiepreise auf Dauer schultern zu können. Dabei dürfte laut der KfW die große Preiswelle erst noch auf den Mittelstand zurollen. Ein Grund dafür: Energielieferverträge für Erdgas und Strom mit langfristigen Preisbindungen laufen nach und nach aus – und die Preise steigen weiter. Experten rechnen auch deshalb für den Winter mit einer zunehmenden Zahl von Insolvenzen. Der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung etwa, Patrik-Ludwig Hantzsch, sagte im September dem Handelsblatt, es werde demnächst „vermehrt zu Marktaustritten kommen“, wenn auch nicht zu einer Insolvenzwelle. Jutta Rüdlin, Vorstandsmitglied des Verbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), sieht bereits „einen deutlich gestiegenen Beratungsbedarf vor allem bei Unternehmen aus energieintensiven Branchen“.
Finanzierung
Insolvenz: Oft Chance für einen Neustart
Chancen für einen Neustart
Die Aussicht, insolvent zu werden, ist für die meisten Unternehmer ein Schreckensszenario. Dabei muss eine Insolvenz keine Katastrophe sein. Denn sie bietet Unternehmen auch die Möglichkeit, geordnet ihre finanzielle Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen und nach durchlaufenem Verfahren saniert weiterzumachen. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, ist es oft sinnvoll, die Chancen und Herangehensweisen, die das Insolvenzrecht kriselnden Unternehmen bietet, aktiv zu nutzen.
Zeichnet sich ab, dass Schulden oder Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern nicht mehr beglichen werden können, ist es ratsam, sich zunächst mit einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer mit Insolvenzrecht-Expertise auszutauschen. Dieser hilft bei der Ermittlung des Insolvenzstatus und begleitet im besten Fall das zukünftige Verfahren. Gängige Verfahren sind neben der Regelinsolvenz die Insolvenz in Eigenverwaltung und die Insolvenz im Schutzschirmverfahren. In beiden Varianten verbleibt die Leitung des Betriebs weitgehend in den Händen der bisherigen Geschäftsführung. Wichtig: Um Sanierungschancen optimal nutzen zu können, sollte der Insolvenzantrag in jedem Fall so früh wie möglich gestellt werden.
Es gibt darüber hinaus bei einer sich abzeichnenden Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz zwei weitere Vorgehensweisen für Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften, um die Leitung des Betriebs zu behalten und selbst an der Sanierung zu arbeiten:
- Die Freigabe des Betriebs aus der Insolvenzmasse. Gegen die Zahlung einer gewissen Summe kann die Firma vom Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse entlassen werden. Der Unternehmenskauf erfolgt durch eine Betriebsübernahmegesellschaft und wird als sogenannter „asset deal“ ausgestaltet. Dies bedeutet, dass Wirtschaftsgüter (englisch: „assets“) wie Grundstücke, Gebäude, Anlagen, Maschinen, Patente und Vorräte erworben und auf den Käufer übertragen werden.
- Gründung einer Auffanggesellschaft. Vor der Zahlungsunfähigkeit und einem möglichen Insolvenzantrag gründet der Inhaber oder Geschäftsführer eine Auffanggesellschaft. Hier stellt er sich selbst an. Dieser Schritt sollte unbedingt juristisch begleitet werden.
So läuft die Regelinsolvenz ab
Nach dem Stellen des Insolvenzantrags beginnt zunächst ein Eröffnungsverfahren, das in erster Linie dem Schutz der Insolvenzmasse dient. In dieser Phase werden die Verfahrensvoraussetzungen geprüft: Der Insolvenzantrag wird danach entweder abgelehnt oder das Insolvenzverfahren wird durch gerichtlichen Beschluss eröffnet. Ist Letzteres der Fall, übernimmt ein Insolvenzverwalter die Geschäfte mit dem Ziel, die Forderungen der Gläubiger weitestgehend zu befriedigen. Dazu stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung: die Sanierung des Betriebs, der Verkauf und die Zerschlagung des Unternehmens. Mit dem Eröffnungsbeschluss werden die Gläubiger aufgefordert, ihre Forderungen innerhalb einer Frist von höchstens drei Monaten beim Insolvenzverwalter anzumelden und etwaige Sicherungsrechte mitzuteilen. Schuldner sind angehalten, Zahlungen nur noch an den Insolvenzverwalter zu leisten.
Neue Regeln für die Zahlungsunfähigkeit
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Juni 2022 geurteilt, dass die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit, gestützt auf „mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl“, zulässig ist (BGH, Urteil vom 28. Juni 2022 - II ZR 112/21). Bislang musste die Zahlungsunfähigkeit mit einem Berechnungsansatz ermittelt werden, der in Form einer Liquiditätsbilanz die Aktiva I zuzüglich im dreiwöchigen Prognosezeitraum zufließender Aktiva II den Verbindlichkeiten gegenüberstellt. Wenn ein Unternehmen innerhalb des Prognosezeitraums nicht mindestens 90 Prozent seiner Verbindlichkeiten bedienen konnte, galt es als zahlungsunfähig und musste einen Insolvenzantrag stellen. Gemäß der BGH-Entscheidung ist es jetzt auch möglich, an jeweils drei Stichtagen innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraumes einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu erstellen. Hierfür werden einfach die Aktiva I (zum Stichtag präsente Geldmittel aus Kasse, Bank und Forderungen) und die Passiva I (zum Stichtag fällige Verbindlichkeiten) einander gegenübergestellt. Ein Betrieb ist danach zahlungsunfähig, wenn ausgehend vom Stichtag an mehreren Tagen im Prognosezeitraum eine Liquiditätslücke mit einer erheblichen Unterdeckung ausgewiesen wird, die nicht geschlossen werden kann.
Die Chancen, ein Unternehmen durch ein geordnetes Insolvenzverfahren vor der endgültigen Pleite zu retten, stehen übrigens nicht so schlecht. Das zeigt ein Beispiel: Von 181 großen Unternehmen (Umsatz größer 20 Mio. Euro), die im Jahr 2020 eine Insolvenz anmelden mussten, konnten gemäß dem „Finance“-Insolvenzreport (Q1/2022) der Restrukturierungsberatung Falkensteg 126 Firmen durch einen Insolvenzplan oder den Verkauf vorerst gerettet werden. 17 Verfahren waren im März 2022 noch offen. „Es gibt Betriebsaufgaben ohne Insolvenz, aber auch Insolvenz ohne Betriebsaufgabe. In der öffentlichen Diskussion sollten Insolvenz und Betriebsaufgabe deshalb nicht gleichgesetzt werden“, wünscht sich Insolvenzverwalterin Jutta Rüdlin.
Stand: Oktober 2022; alle Angaben ohne Gewähr.
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