Nachhaltigkeit

Aus Alt mach Neu

Wie Unternehmen von der Kreislaufwirtschaft profitieren können.

Rund 210 Mil­lio­nen aus­ran­gier­te Smart­pho­nes und Han­dys lie­gen Schät­zun­gen des Di­gi­tal­ver­bands Bit­kom zu­fol­ge in deut­schen Schub­la­den und Schrän­ken. Wür­de man al­le die­se Ge­rä­te re­cy­celn, könn­ten die ge­won­ne­nen Ma­te­ria­li­en den Roh­stoff­be­darf für al­le in Deutsch­land in den nächs­ten zehn Jah­ren vor­aus­sicht­lich ver­kauf­ten neu­en Smart­pho­nes de­cken, hat das In­sti­tut der deut­schen Wirt­schaft (IW) be­rech­net. Al­ler­dings ha­ke es noch bei den Rück­füh­rungs- und Re­cy­cling­pro­zes­sen. „Ein ers­ter wich­ti­ger Schritt wä­re, dass die Ver­brau­cher ih­re un­ge­nutz­ten Alt­ge­rä­te zu­rück­brin­gen“, sagt IW-Stu­di­en­au­to­rin und Kreis­lauf­wirt­schafts­ex­per­tin Adria­na Ne­li­gan. Die Po­li­tik müs­se hier un­ter­stüt­zen und bei­spiels­wei­se schnell ei­nen ge­setz­li­chen Rah­men schaf­fen, um für bes­se­re An­rei­ze bei der Samm­lung zu sor­gen. Ge­nau das ist das Ziel der Na­tio­na­len Kreis­lauf­wirt­schafts­stra­te­gie (NKWS), die im Ju­ni 2024 vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Um­welt, Na­tur­schutz, nu­klea­re Si­cher­heit und Ver­brau­cher­schutz Ak­teu­ren aus Wirt­schaft, Ge­sell­schaft und Wis­sen­schaft zur Kom­men­tie­rung vor­ge­legt wur­de. Doch auch die Wirt­schaft selbst kann und muss in Sa­chen Kreis­lauf­wirt­schaft noch deut­lich ak­ti­ver wer­den.

Von Kreislaufwirtschaft spricht man, wenn Produkte so lange wie möglich genutzt und dafür repariert oder aufgearbeitet sowie die in ihnen enthaltenen Rohstoffe und Materialien am Ende der Nutzungsdauer recycelt werden. Bislang herrscht in Deutschland zumeist noch die lineare Wertschöpfung vor: Dabei landen die wertvollen Ressourcen nach Gebrauch entweder auf der Müllkippe oder bestenfalls in der thermischen Verwertung. „Kreislaufwirtschaft ist bei allen Herausforderungen, die sie in der Übergangsphase stellt, Nachhaltigkeit im besten Sinne“, betont Sabrina Schröpfer, Referentin für Umweltpolitik bei der IHK München und Oberbayern, in einem Artikel des IHK-Magazins Wirtschaft. Für einen Ausbau der Kreislaufwirtschaft gibt es weitere gute Gründe:

  • Versorgungssicherheit: Mit der wachsenden Weltbevölkerung wächst der Bedarf an Rohstoffen weiter an.
  • Unabhängigkeit: Bestimmte Rohstoffe sind schon heute knapp und werden deshalb immer teurer. Sie kommen zudem häufig aus nur einigen wenigen Ländern, etwa China. Entsprechend abhängig sind Unternehmen in rohstoffarmen Ländern wie Deutschland von diesen Lieferländern.
  • Umweltschutz: Die Erschließung neuer natürlicher Rohstoffquellen geht immer auf Kosten der Umwelt. Zudem stellen unsachgemäß entsorgte Elektrogeräte und Akkus ein zunehmendes Problem da.

Recycling als Rohstoffquelle

Wie wich­tig der Aus­bau der Kreis­lauf­wirt­schaft rein wirt­schaft­lich sein könn­te, zeigt das Bei­spiel der Kunst­stoff­pro­duk­ti­on. Dem Ge­samt­ver­band Kunst­stoff­ver­ar­bei­ten­de In­dus­trie (GKV) zu­fol­ge wur­den 2021 in Deutsch­land 14 Mil­lio­nen Ton­nen Roh­stof­fe (zu­meist Erd­öl) zu Kunst­stoff­pro­duk­ten ver­ar­bei­tet, dar­un­ter aber nur rund 12 Pro­zent Kunst­stoff­re­zy­kla­te, al­so auf­be­rei­te­ter Alt­kunst­stoff. Dem­nach wur­de nur gut ein Drit­tel der in Deutsch­land ge­sam­mel­ten Kunst­stoff­ab­fäl­le 2021 stoff­lich ver­wer­tet. Der Rest wur­de im We­sent­li­chen der en­er­ge­ti­schen Ver­wer­tung zu­ge­führt, sprich: ver­brannt. Da­bei lie­ße sich ein Gro­ß­teil des für die Her­stel­lung neu­er Kunst­stof­fe be­nö­tig­ten Roh­ma­te­ri­als durch me­cha­ni­sches Re­cy­cling aus Alt­plas­tik ge­win­nen. Zu­dem kön­ne durch che­mi­sches Müll­re­cy­cling so­gar Koh­len­stoff ge­won­nen wer­den – der Ba­sis­roh­stoff der che­mi­schen In­dus­trie. Laut ei­ner Stu­die des World Wi­de Fund For Na­tu­re könn­te man den Ein­satz „neu­er“ Roh­stof­fe bei der Kunst­stoff­pro­duk­ti­on in Deutsch­land durch die Kreis­lauf­wirt­schaft bis 2040 ins­ge­samt um rund 60 Pro­zent sen­ken.

Gesetzliche Pflicht

Re­cy­cling ist je­doch nur ein Lö­sungs­weg für die ef­fi­zi­en­te­re Nut­zung von Roh­stof­fen. Im Hin­blick auf Elek­tro­ge­rä­te be­tont Adria­na Ne­li­gan, dass es „bes­ser wä­re, be­reits bei der Pro­dukt­ent­wick­lung Ab­fäl­le zu ver­mei­den oder die Ge­rä­te und ih­re Kom­po­nen­ten für ei­ne di­rek­te Wie­der­ver­wen­dung pro­fes­sio­nell auf­zu­be­rei­ten“. Ge­nau dar­auf zie­len der im März 2020 im Rah­men des EU Green Deal zur grü­nen Trans­for­ma­ti­on der eu­ro­päi­schen Wirt­schaft ver­ab­schie­de­te zwei­te EU-Ak­ti­ons­plan für die Kreis­lauf­wirt­schaft und das im sel­ben Jahr no­vel­lier­te deut­sche Kreis­lauf­wirt­schafts­ge­setz ab. Der Ak­ti­ons­plan der EU-Kom­mis­si­on sieht vor, dass be­reits bei der Ent­wick­lung von Pro­duk­ten Lang­le­big­keit, Re­pa­rier­bar­keit, Up­grade-Mög­lich­kei­ten und das Re­cy­cling von Roh­stof­fen be­rück­sich­tigt wer­den. 

So macht die im Ju­li 2024 in Kraft ge­tre­te­ne EU-Ver­ord­nung für das Öko­de­sign nach­hal­ti­ger Pro­duk­te, kurz ESR (Ecode­sign for Sustainable Pro­ducts Re­gu­la­ti­on), für na­he­zu al­le Ar­ten von Pro­duk­ten, die in der EU in Ver­kehr ge­bracht wer­den, Vor­ga­ben, um die­se lang­le­bi­ger, nach­rüst­bar und wie­der­ver­wend­bar zu ma­chen. Die neue Ver­ord­nung er­setzt die EU-Öko­de­sign-Richt­li­nie, die be­reits seit dem Jahr 2005 den Rah­men für ein­heit­li­che und ver­bind­li­che Öko­de­sign-Min­dest­an­for­de­run­gen in der EU ge­bil­det hat­te. Die EU-Kom­mis­si­on hat nun bis März 2025 Zeit, ei­nen Ar­beits­plan zu er­stel­len, der sämt­li­che Pro­dukt­grup­pen lis­tet, für wel­che in den kom­men­den Jah­ren pro­dukt­spe­zi­fi­sche Ver­ord­nun­gen er­ar­bei­tet wer­den sol­len. Als ers­te neue Pro­dukt­grup­pen, für die öko­lo­gi­sche Min­dest­an­for­de­run­gen ge­prüft wer­den sol­len, nennt die Ver­ord­nung Tex­ti­li­en und Schu­he, Mö­bel, Ei­sen, Stahl und Alu­mi­ni­um, De­ter­gen­zi­en bzw. Rei­ni­gungs­mit­tel und Che­mi­ka­li­en. Mit der Aus­ar­bei­tung von Ver­ord­nun­gen für Tex­ti­li­en und Stahl wur­de laut dem Um­welt­bun­des­amt be­reits be­gon­nen. Es wird er­war­tet, dass die ers­ten spe­zi­fi­schen Pro­dukt­ver­ord­nun­gen, die die Öko­de­sign-Ver­ord­nung um­set­zen, bis En­de 2025 in Kraft tre­ten wer­den.

Im April 2024 hat zu­dem das EU-Par­la­ment neue Vor­schrif­ten zur Ver­rin­ge­rung von Ver­pa­ckungs­ab­fäl­len ver­ab­schie­det. Dies soll un­ter an­de­rem durch die För­de­rung der Wie­der­ver­wen­dung und des Re­cy­clings be­stimm­ter Ver­pa­ckungs­ar­ten er­reicht wer­den. Bei­spiels­wei­se müs­sen ab dem 1. Ja­nu­ar 2030 die meis­ten in der EU ver­kauf­ten Ver­pa­ckun­gen re­cy­cel­bar sein. Ein­weg­ver­pa­ckun­gen aus Plas­tik für un­ver­ar­bei­te­tes fri­sches Obst und Ge­mü­se, für Spei­sen und Ge­trän­ke in Ca­fés und Re­stau­rants so­wie für Ein­zel­por­tio­nen von Würz­mit­teln wie So­ßen, Sah­ne oder Zu­cker sind dann ver­bo­ten.

In Deutsch­land för­dert be­reits ei­ne Rei­he von na­tio­na­len Ge­set­zen die Kreis­lauf­wirt­schaft, et­wa das Ver­pa­ckungs­ge­setz oder das Elek­tro­ge­setz. Bei­de ent­hal­ten Rück­nah­me­pflich­ten für Han­del und Her­stel­ler.

Unternehmerische Verantwortung

Der An­stoß, in Sa­chen Kreis­lauf­wirt­schaft ak­tiv zu wer­den, soll­te je­doch nicht al­lein aus ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten re­sul­tie­ren, son­dern auch dem Wunsch der Un­ter­neh­men ent­spre­chen, den Um­welt- und Kli­ma­schutz vor­an­zu­trei­ben. Nicht zu­letzt, weil sich dar­aus in­ter­es­san­te Ge­schäfts­ide­en er­ge­ben könn­ten. Ein Bei­spiel: Der auf die Re­vi­ta­li­sie­rung von Be­stands­im­mo­bi­li­en spe­zia­li­sier­te Es­se­ner Im­mo­bi­li­en­pro­jekt­ent­wick­ler Grey­field Group will mit sei­nem da­für ex­tra neu ge­grün­de­ten Toch­ter­un­ter­neh­men re:unit das Wie­der­ver­wen­den von Gips­kar­ton­plat­ten in gro­ßem Maß­stab er­mög­li­chen. Da­für wer­den in ei­nem pa­ten­tier­ten Ver­fah­ren al­te Plat­ten aus­ge­baut und auf­ge­ar­bei­tet. Die ma­te­ri­al- und schad­stoff­ge­prüf­ten Re­cy­cling­plat­ten kön­nen dann an neu­er Stel­le wie­der ein­ge­baut wer­den und sol­len bei glei­cher Qua­li­tät nicht teu­rer sein als neue Plat­ten. Die Auf­ar­bei­tung spart nicht nur Roh­stof­fe und ver­rin­gert die Müll­men­ge, sie ver­min­dert auch den Koh­len­di­oxid­aus­stoß: Pri­mär­plat­ten kom­men dem­nach auf 1,85 Ki­lo CO2 pro Qua­drat­me­ter, die auf­ge­ar­bei­te­ten Plat­ten nur auf 0,01 Ki­lo CO2. Nach An­ga­ben von Ge­schäfts­füh­re­rin Sa­rah Schuh­mann fal­len der­zeit in Deutsch­land jähr­lich et­wa 36 Mil­lio­nen Gips­kar­ton­plat­ten als Ab­fall an. Das ent­spricht ei­nem jähr­li­chen CO2-Ein­spar­po­ten­zi­al von et­wa 130.000 Ton­nen.

Kleine Schritte für ein großes Ganzes

Na­tür­lich ist nicht je­der Be­trieb da­zu in der La­ge, aus dem Stand neue re­cy­cle­ba­re Pro­duk­te zu ent­wi­ckeln oder ein kom­ple­xes Re­pa­ra­tur- oder Rück­nah­me­sys­tem zu eta­blie­ren. Doch zum Aus­bau der Kreis­lauf­wirt­schaft lässt sich auch mit klei­nen Schrit­ten bei­tra­gen. Statt sie auf der De­po­nie zu ent­sor­gen, kön­nen Un­ter­neh­men bei­spiels­wei­se kos­ten­los Pro­duk­ti­ons­rück­stän­de auf der Re­cy­cling­bör­se des Bran­chen­por­tals EU­WID ein­stel­len oder dort Ma­te­ria­li­en für ih­re ei­ge­ne Pro­duk­ti­on su­chen. Über­schüs­si­ge Bau­ar­ti­kel kön­nen ins­be­son­de­re von Hand­werks­un­ter­neh­men auf der Platt­form ma­te­ri­al­re­s­t24 an­ge­bo­ten und ge­kauft wer­den. Be­reits re­cy­cel­te Roh­stof­fe wer­den von Re­cy­cling­un­ter­neh­men wie Ter­ra­cy­cle an­ge­bo­ten. Kunst­stoff­ab­fäl­le und mehr fin­den über Re­cy­ba­se neue Nut­zer, eben­so wie Ma­schi­nen und Ge­rä­te al­ler Art auf der Platt­form Ma­schi­nen­su­cher. Ge­brauch­te Ma­schi­nen aus der me­tall- und kunst­stoff­ver­ar­bei­ten­den In­dus­trie wie­der­um kön­nen über die kom­mer­zi­el­le Ge­braucht­ma­schi­nen­bör­se GIN­DU­MAC ver­äu­ßert oder er­wor­ben wer­den.

„We’ve got to learn to re­du­ce, reu­se, re­cy­cle“, hei­ßt es in ei­nem Lied des US-ame­ri­ka­ni­schen Sin­ger-Song­wri­ters Jack John­son, frei über­setzt: „Wir müs­sen re­du­zie­ren, wei­ter­nut­zen und wie­der­ver­wer­ten.“ Ge­schrie­ben hat John­son den Song vor fast 20 Jah­ren – ak­tu­ell ist er heu­te mehr denn je.   

Nützliche Links

  • Die wichtigsten Neuigkeiten ihres Marktes, ihrer Branche oder ihres Interessengebiets in Sachen Kreislaufwirtschaft können Unternehmen dank künstlicher Intelligenz individuell zugeschnitten kostenlos über den Monitor Zirkuläre Wertschöpfung des Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrums erhalten.
  • Das Gründerzentrum UnternehmerTUM GmbH unterstützt mit seiner Plattform Circular Republic Unternehmen und Start-ups dabei, Innovationen und Ideen für die Kreislaufwirtschaft marktgerecht weiterzuentwickeln und in konkrete Geschäftsmodelle zu überführen.
  • Eine Übersicht über die Pflichten des Verpackungsgesetzes für Unternehmen bietet zum Beispiel die IHK Schleswig-Holstein.
  • Was das Verpackungsgesetz seit dem Sommer 2022 speziell von Online-Händlern fordert, beschreibt anschaulich das E-Commerce-Netzwerk Händlerbund.
  • Informationen zur EU-Ökodesign-Verordnung hält das Bundeswirtschaftsministerium auf seiner Website bereit.
  • Details und eine aktuelle Timeline zum Aktionsplan Kreislaufwirtschaft gibt eine Website der Europäischen Kommission (in englischer Sprache).
  • Allgemeinverständliche Informationen und aktuelle Termine zum Thema Kreislaufwirtschaft finden sich auf der Website des Bundesumweltministeriums.

Stand: Oktober 2024; alle Angaben ohne Gewähr.
Bildnachweis: iStockphoto (baramee2554 / Cecilie_Arcurs)