Energie & Nachhaltigkeit

Grün ist die Hoffnung

Warum grüner Wasserstoff der Hoffnungsträger für eine klimaneutrale Wirtschaft ist.

172 Mil­lio­nen Ton­nen Gü­ter wur­den 2023 von der Bin­nen­schiff­fahrt in Deutsch­land trans­por­tiert, vor al­lem flüs­si­ge Mi­ne­ral­öl­er­zeug­nis­se, Stei­ne und Er­den, Ei­sen­er­ze so­wie Koh­le. Ei­ne gro­ße Be­deu­tung ha­ben Flüs­se und Se­en als Ver­kehrs­weg zum Bei­spiel für die che­mi­sche In­dus­trie, die für mehr als 10 Pro­zent der ge­sam­ten Be­för­de­rungs­men­ge der Bin­nen­schiff­fahrt steht. Das Pro­blem: Bin­nen­schif­fe ver­brau­chen laut dem Bun­des­um­welt­amt zwar rund ein Drit­tel we­ni­ger En­er­gie als ei­ne ent­spre­chen­de An­zahl schwe­rer Lkw glei­cher La­de­ka­pa­zi­tät und sto­ßen ent­spre­chend we­ni­ger Treib­haus­ga­se aus. Da­für emit­tie­ren vor al­lem äl­te­re Schiffs­mo­to­ren reich­lich ge­sund­heits­schäd­li­chen Fein­staub und Stick­stoff­oxid.

Ganz an­ders ist das beim Schub­boot Elek­tra, das seit Mai 2022 auf Er­pro­bungs­fahr­ten über die Ber­li­ner Bin­nen­ge­wäs­ser und die El­be schip­pert: kein wum­mern­der Schiffs­mo­tor, kei­ne dunk­le Ab­gas­wol­ke, kein bei­ßen­der Die­sel­ge­ruch. Denn die an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät (TU) Ber­lin ent­wor­fe­ne Elek­tra wird, wie es der Na­me schon ver­mu­ten lässt, mit ei­nem Elek­tro­mo­tor an­ge­trie­ben. Und der be­zieht sei­ne En­er­gie aus Ak­kus, die von Land aus und über ei­ne an Bord be­find­li­che mit „grü­ne­m“ Was­ser­stoff be­feu­er­te Brenn­stoff­zel­le ge­la­den wer­den. Ne­ben Strom für den E-An­trieb ent­ste­hen da­bei le­dig­lich Wär­me und Was­ser­dampf. Das macht die Elek­tra zum welt­weit ers­ten emis­si­ons­frei­en Schub­boot der Welt – ei­ne Schiffs­klas­se, die mit Gü­tern be­la­de­ne so­ge­nann­te Leich­ter, die selbst kei­nen An­trieb ha­ben, über Flüs­se und Ka­nä­le schiebt.

Mit ei­ner Was­ser­stoff­tank­fül­lung kommt die Elek­tra et­wa 340 Ki­lo­me­ter weit. Das reicht zum Bei­spiel für die Fahrt von Ber­lin nach Lü­ne­burg bei Ham­burg, wo die sechs Was­ser­stoff­con­tai­ner des Schiffs mit­hil­fe ei­nes bord­ei­ge­nen Krans ge­wech­selt wer­den kön­nen. Auch die 250 zu­sätz­li­chen Ak­kus im Bauch der Elek­tra kön­nen dort auf­ge­la­den wer­den. Mit ih­rer Hil­fe lässt sich die Reich­wei­te so­gar auf 400 Ki­lo­me­ter er­wei­tern. Vor al­lem dicht be­sie­del­te Re­gio­nen könn­ten künf­tig vom Ein­satz elek­tro­mo­bi­ler Schif­fe pro­fi­tie­ren: „Die Elek­tra ent­lässt nicht nur kei­ne Emis­sio­nen in Form von Schad­stof­fen in die Luft, sie ist auch ein ex­trem lei­ses Schif­f“, be­tont Pro­jekt­lei­ter Prof. Gerd Hol­bach die Vor­tei­le des Was­ser­stoff­an­triebs.

Hoffnungsträger der Energiewende

Grüner Wasserstoff gilt vielen als Hoffnungsträger der Energiewende, und das nicht allein im Transportsektor, wo Wasserstoff über Brennstoffzellen oder in Form synthetischer Kraftstoffe neben Schiffen auch schwere Lkw und sogar Flugzeuge mit Antriebsenergie versorgen könnte. Auch als Energieträger in der Wärmeversorgung von Haushalten, etwa als Beimischung im Erdgasnetz, und nicht zuletzt in der Industrie könnte grüner Wasserstoff erheblich zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen. In energieintensiven Branchen wie der chemischen oder der Stahlindustrie scheint grüner Wasserstoff aktuell sogar die einzige Möglichkeit zu sein, den Verbrauch fossiler Brennstoffe deutlich zu senken. Zudem könnte Wasserstoff als Energiespeicher für Produktionsüberschüsse aus Solar- und Windkraftanlagen genutzt werden.

Zum Trans­port von grü­nem Was­ser­stoff könn­te in Deutsch­land künf­tig in Tei­len das be­reits vor­han­de­ne Gas­netz ge­nutzt wer­den. „Das heu­te rund ei­ne hal­be Mil­li­on Ki­lo­me­ter lan­ge Lei­tungs­netz ist be­reit, Ga­se hin zu den An­wen­dun­gen in In­dus­trie und Wär­me zu trans­por­tie­ren“, sagt Prof. Dr. Ge­rald Lin­ke, Vor­stands­vor­sit­zen­der des Deut­schen Ver­eins des Gas- und Was­ser­fa­ches e. V.  Die ge­sam­te stahl­ba­sier­te Gas­lei­tungs­in­fra­struk­tur kön­ne zu 100 Pro­zent Was­ser­stoff auf­neh­men. Spei­chern lie­ße sich Was­ser­stoff in so­ge­nann­ten Un­ter­grund-Ka­ver­nen­spei­chern, die rund zwei Drit­tel des Ge­samt­vo­lu­mens der deut­schen Gas­spei­cher aus­ma­chen. Im Ok­to­ber 2024 hat die Bun­des­netz­agen­tur den von den Fern­lei­tungs­be­trei­bern ein­ge­reich­ten so­ge­nann­ten Kern­netz­an­trag ge­neh­migt. Da­mit ist der Weg frei für die Rea­li­sie­rung ei­nes Was­ser­stoff-Kern­net­zes, über das bis 2032 zen­tra­le Was­ser­stoff­stand­or­te in al­len Bun­des­län­dern mit­ein­an­der ver­bun­den wer­den sol­len – von Er­zeu­gungs­zen­tren und Im­port­punk­ten über Spei­cher bis hin zu künf­ti­gen Ab­neh­mern in In­dus­trie und Kraft­wer­ken. Das ge­neh­mig­te Kern­netz um­fasst Lei­tun­gen mit ei­ner Ge­samt­län­ge von 9.040 Ki­lo­me­tern, wo­von rund 60 Pro­zent vom bis­he­ri­gen Erd­gas­be­trieb um­ge­stellt wer­den kön­nen.

Die Farben des Wasserstoffs

Wasserstoff (Elementsymbol H für lateinisch Hydrogenium) ist das häufigste chemische Element in unserem Universum und kommt in der Natur ausschließlich gebunden vor, etwa im Wasser (H2O). Das farb- und geruchlose ungiftige Gas enthält mehr Energie pro Masse als jeder andere Brennstoff und kann in verschiedenen Verfahren produziert werden. Wie klimafreundlich Wasserstoff ist, hängt vom jeweiligen Produktionsverfahren, der dafür eingesetzten Energiequelle und den dabei entstehenden Emissionen ab. Zur Unterscheidung wird ein Farbcode benutzt.

Klimaziele treiben Wasserstoffnachfrage

Bei all den wun­der­ba­ren Aus­sich­ten für grü­nen Was­ser­stoff: Das Gas ist bis­lang Man­gel­wa­re. Und die welt­wei­ten Be­stre­bun­gen zum Er­rei­chen der Kli­ma­neu­tra­li­tät dürf­ten die Nach­fra­ge in den nächs­ten Jahr­zehn­ten mas­siv stei­gen las­sen. Ver­schie­de­ne Stu­di­en zei­gen, dass der jähr­li­che glo­ba­le Was­ser­stoff­be­darf von zu­letzt 3.000 Te­ra­watt­stun­den (TWh) bis zum Jahr 2030 auf et­wa 5.000 TWh stei­gen könn­te – wo­von dann nur rund die Hälf­te aus kli­ma­freund­li­cher Pro­duk­ti­on stam­men dürf­te. Bis 2050 könn­te der Be­darf auf 17.000 bis 22.000 TWh an­stei­gen, die dann ge­mäß dem Pa­ri­ser Kli­ma­ab­kom­men voll­stän­dig kli­ma­neu­tral als grü­ner Was­ser­stoff pro­du­ziert wer­den müss­ten. Der Na­tio­na­le Was­ser­stoff­rat – ein von der Bun­des­re­gie­rung be­ru­fe­nes un­ab­hän­gi­ges, über­par­tei­li­ches Be­ra­tungs­gre­mi­um – rech­net für Deutsch­land bis 2030 mit ei­nem Was­ser­stoff­be­darf von 94 bis 125 TWh pro Jahr. Bis 2045 könn­te der Be­darf dem­nach auf 620 bis 1.288 TWh stei­gen.

Königsdisziplin Sektorkopplung

Im besten Fall werden verschiedene Bereiche der Wasserstoffproduktion und -nutzung miteinander vernetzt. Erprobt wird diese sogenannte Sektorenkopplung derzeit im „Reallabor Westküste 100“ in Schleswig-Holstein. Dafür hat sich eine branchenübergreifende Allianz aus privatwirtschaftlichen und kommunalen Unternehmen sowie einer wissenschaftlichen Einrichtung gebildet. Diese Allianz will mithilfe von Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff produzieren, der dann sowohl bei der Produktion klimafreundlicher synthetischer Treibstoffe für Flugzeuge zum Einsatz kommen, als auch ins Gasnetz eingespeist werden soll. Die bei der Elektrolyse entstehende Abwärme könnte zum Beispiel als Prozesswärme in einem Gewerbegebiet genutzt werden, der anfallende Sauerstoff soll in den Verbrennungsprozess eines Zementwerks eingespeist werden. Das bei der Zementherstellung unvermeidlich entstehende Kohlendioxid wiederum könnte zusammen mit grünem Wasserstoff in einer Raffinerie zur Herstellung von synthetischen Kohlenwasserstoffen (z. B. als Flugkraftstoff) eingesetzt werden. Mehr Infos unter www.westkueste100.de

Vielfältige Fördermöglichkeiten

Die damalige Bundesregierung hat im Juni 2020 mit der Verabschiedung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) einen Handlungsrahmen für die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette – von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung sowie Weiterverwendung – geschaffen und diesen durch einen Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Unter anderem sollen die Elektrolyse-Kapazitäten in Deutschland bis 2030 deutlich ausgebaut werden.

Unternehmen, die in das Thema Wasserstoff einsteigen möchten, finden auf der Website der Nationalen Wasserstoffstrategie unter anderem einen Überblick über Fördermöglichkeiten. Welche Fördermöglichkeiten für ein entsprechendes Projekt geeignet sein könnten, erläutert zudem im Detail die Lotsenstelle Wasserstoff. Einen guten Überblick über nationale und internationale Förderprogramme gibt es außerdem bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Das Potenzial zur heimischen Erzeugung von grünem Wasserstoff dürfte jedoch bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Ein Großteil des voraussichtlich benötigten Wasserstoffs muss deshalb importiert werden. Die Bundesregierung will in den kommenden Jahren mehr als 5 Milliarden Euro in den Import von Wasserstoff investieren und hat dafür bereits Wasserstoffpartnerschaften und Absichtserklärungen mit beispielsweise Australien, Kanada, Namibia, Neuseeland und Norwegen geschlossen.

Marktchancen für deutsche Unternehmen

Der Ein­satz von grü­nem Was­ser­stoff in mög­lichst vie­len Wirt­schafts­be­rei­chen ist nicht nur ei­ne kli­ma­po­li­ti­sche Not­wen­dig­keit, er bie­tet deut­schen Un­ter­neh­men auch gro­ße Markt­chan­cen, zum Bei­spiel bei der Be­reit­stel­lung von An­la­gen zur Elek­tro­ly­se oder beim Aus­bau der Was­ser­stoff­in­fra­struk­tur. Laut dem Hy­Gui­de 2030 des Deut­schen Was­ser­stoff-Ver­bands er­öff­net sich da­durch al­lein für den deut­schen Ma­schi­nen­bau bis 2030 ein Ab­satz­po­ten­zi­al von ins­ge­samt bis zu 500 Mil­li­ar­den Eu­ro.

Wie das The­ma grü­ner Was­ser­stoff auch mit­tel­stän­di­schen Un­ter­neh­men zu­gu­te­kom­men kann, zeigt nicht zu­letzt das Bei­spiel des Schub­boots Elek­tra. Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ver­kehr und di­gi­ta­le In­fra­struk­tur (BM­VI) för­dert das rund 13 Mil­lio­nen Eu­ro teu­re Ent­wick­lungs­pro­jekt mit rund 8 Mil­lio­nen Eu­ro. Da­von pro­fi­tie­ren nicht nur die TU Ber­lin, son­dern auch die in­ha­be­rin­nen­ge­führ­te Schiffs­werft im sach­sen-an­hal­ti­ni­schen Der­ben, auf der das Schiff ge­baut wur­de, so­wie die Lie­fe­ran­ten für die Brenn­stoff­zel­len, das Was­ser­stoff- und das elek­tri­sche En­er­gie­sys­tem so­wie die Ak­kus. Schiffs­ei­gen­tü­mer der Elek­tra ist die Ber­li­ner Ha­fen- und La­ger­haus­ge­sell­schaft, ei­ne 100-pro­zen­ti­ge Toch­ter der Stadt Ber­lin. In Kür­ze soll das Schub­boot in den re­gu­lä­ren Be­trieb ge­hen.


Stand: Oktober 2024; alle Angaben ohne Gewähr
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