Lieferengpässe

Risikomanagement vor Versicherungsschutz

Warum Versicherungen kaum Schutz gegen Lieferkettenstörungen bieten.

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Wer im Frühjahr 2022 mit einer einschlägigen Tracking-App den Frachtschiffsverkehr vor der Küste Chinas verfolgte, sah vor allem eines: einen gewaltigen Stau. Der Grund: China hatte nach einem erneuten Corona-Ausbruch Anfang April einen strengen Lockdown über verschiedene Städte verhängt, darunter auch die 26-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai mit dem größten Hafen der Welt. In der Folge mussten viele chinesische Betriebe die Produktion einstellen oder stoppen und der Containertransport aus der Volksrepublik brach ein.

Während sich die akuten Folgen der Corona-Pandemie längst aufgelöst haben, bleibt die Störanfälligkeit der globalen Lieferketten bestehen. Das zeigt das aktuelle Beispiel Naher Osten: Laut dem Kiel Trade Indicator des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist durch die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe die Frachtmenge, die durch das Rote Meer transportiert wird, dramatisch eingebrochen. Ende Oktober 2024 passierten demnach noch immer fast 64 Prozent weniger Containerschiffe die wichtige Meeresstraße, als es normalerweise zu erwarten wäre. Statt des kurzen Weges durch den Suezkanal nehmen viele Schiffe nun einen Umweg über das Kap der Guten Hoffnung, was den Transport um etwa zwei Wochen verlängert. Rund 10 Prozent aller weltweit verschifften Waren sind laut dem IfW davon betroffen.

Risikoabsicherung verzweifelt gesucht

Insgesamt gehören Störungen der Lieferketten auch weiterhin zu den Topgeschäftsrisiken. Im Allianz Risk Barometer 2024, einer jährlichen Befragung von mehr als 3.000 Risikomanagement-Experten weltweit, werden nur Cyberattacken als noch größere Gefahr für Unternehmen eingestuft. Umso mehr suchen Unternehmen nach Möglichkeiten, sich für den Fall durch Lieferkettenstörungen bedingter Produktions- oder Lieferausfälle finanziell abzusichern. Das allerdings ist nicht einfach. Zwar verfügen viele mittelständische Betriebe über eine Betriebsunterbrechungsversicherung, um sich gegen existenziell bedrohliche Produktionsausfälle zu schützen. Damit sind Betriebsunterbrechungen, die aus Störungen in den Lieferketten resultieren, etwa weil wichtige Komponenten für die Produktion fehlen, jedoch in der Regel nicht abgedeckt. Hier gilt es, zusammen mit dem Versicherungspartner individuelle Lösungen zu finden.

Was Betriebsversicherungen abdecken

Die Betriebsunterbrechungsversicherung (BU) oder Ertragsausfallversicherung bietet Betrieben eine finanzielle Absicherung für Erlöseinbußen infolge von Betriebsunterbrechungen oder -beeinträchtigungen. Sie kann als Baustein der Inhaltsversicherung hinzugebucht werden und deckt dann Schäden ab, die in der Inhaltsversicherung inkludiert sind, etwa Betriebsunterbrechungen infolge von Sachschäden durch Sturm oder Feuer – auch bei einem Zulieferer. Darüber hinaus gibt es eigenständige BU-Policen mit einem größeren individuellen Leistungsumfang.

Die Betriebsschließungsversicherung kann als Baustein der BU oder eigenständig abgeschlossen werden. Sie greift bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen, die durch eine nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Krankheit oder Infektion angezeigt sind. Beim Abschluss sollte, zum Beispiel im Hinblick auf das Coronavirus oder noch unbekannte mögliche künftige Erreger, auf die tatsächlich versicherten Krankheits- bzw. Infektionsfälle geachtet werden.

Die gewerbliche oder Geschäftsinhaltsversicherung oder Inventarversicherung ersetzt finanzielle Schäden an der technischen und kaufmännischen Einrichtung sowie an Waren und Vorräten, die zum Beispiel durch Feuer, Einbruchdiebstahl und Elementarereignisse wie Flutkatastrophen entstehen.

Versicherung kann nur ein Baustein sein

In diesem Zusammenhang verwundert es kaum, dass bei den Maßnahmen, die Unternehmen als Reaktion auf die Lieferkettenunterbrechungen der Corona-Pandemie ergriffen haben, Versicherungen eher keine Rolle zu spielen scheinen. In einer Unternehmensbefragung des ifo Instituts gaben 58 Prozent der Befragten an, dem Risiko von Lieferkettenstörungen mit einer verstärkten Diversifizierung ihrer Lieferbeziehungen entgegenzuwirken. 45 Prozent setzten auf eine verstärkte Lagerhaltung, 44 Prozent auf besser überwachte Lieferketten und 34 Prozent auf eine Umschichtung bestehender Lieferverhältnisse. Eine Ausweitung des Versicherungsschutzes wurde nicht genannt.

Auf der anderen Seite würden sich laut dem aktuellen Political Risk Survey Report des globalen Beratungsunternehmens Willis Towers Watson (WTW) 68 Prozent der in dieser Untersuchung befragten Unternehmen mit einer Versicherung gegen politische Risiken schützen wollen. Das Problem hierbei: Politische Risiken sind kaum kalkulierbar, können katastrophale Schäden verursachen und gelten Versicherern als Kumulrisiken, denn die Schadenereignisse betreffen zumeist viele Unternehmen auf einmal. Das habe den Schutz laut WTW zuletzt deutlich teurer gemacht, wobei Versicherer gleichzeitig die Maximalhaftungen reduziert haben und erhöhte Selbstbehalte fordern. Besonders schwierig sei die Lage aktuell für Unternehmen, die Beziehungen zur Ukraine, zu Russland oder zu Belarus unterhalten. Aber auch Hongkong, Taiwan, Chile oder einige afrikanische Länder seien zunehmend von politischen Risiken betroffen und beeinflussten die Versicherungsmodalitäten negativ.

Eine umfassende Risikoanalyse ist Pflicht

Für Unternehmen, die einen passenden Versicherungsschutz gegen Lieferkettenstörungen abschließen wollen, hat Fabian Konopka, Consultant bei der Funk Risk Consulting GmbH, eine klare Empfehlung: „Aufgrund der heute vielfach stark vernetzten Wertschöpfungsketten ist die genaue Analyse der inner- wie außerbetrieblichen Abhängigkeiten von Produktionsprozessen von besonderer Bedeutung“, sagt der Risikomanagement-Experte. Auf dieser Basis lasse sich dann der wahrscheinliche finanzielle Höchstschaden durch den Ausfall von Zulieferern, Produktionsstandorten sowie Abnehmern berechnen. Eine solche Betriebsunterbrechungsanalyse sei die Voraussetzung dafür, den Absicherungsbedarf für Lieferkettenrisiken passgenau ermitteln zu können – und so bei der Versicherungspolice Geld zu sparen.

Stand: November 2024; alle Angaben ohne Gewähr
Bildnachweis: iStockphoto / liorpt