Lieferengpässe

Risikomanagement vor Versicherungsschutz

Warum Versicherungen kaum Schutz gegen Lieferkettenstörungen bieten.

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Wor­te. Wer im Früh­jahr 2022 mit ei­ner ein­schlä­gi­gen Tracking-App den Fracht­schiffs­ver­kehr vor der Küs­te Chi­nas ver­folg­te, sah vor al­lem ei­nes: ei­nen ge­wal­ti­gen Stau. Der Grund: Chi­na hat­te nach ei­nem er­neu­ten Co­ro­na-Aus­bruch An­fang April ei­nen stren­gen Lock­down über ver­schie­de­ne Städ­te ver­hängt, dar­un­ter auch die 26-Mil­lio­nen-Ein­woh­ner-Me­tro­po­le Schang­hai mit dem grö­ß­ten Ha­fen der Welt. In der Fol­ge muss­ten vie­le chi­ne­si­sche Be­trie­be die Pro­duk­ti­on ein­stel­len oder stop­pen und der Con­tainertrans­port aus der Volks­re­pu­blik brach ein.

Wäh­rend sich die aku­ten Fol­gen der Co­ro­na-Pan­de­mie längst auf­ge­löst ha­ben, bleibt die Stör­an­fäl­lig­keit der glo­ba­len Lie­fer­ket­ten be­ste­hen. Das zeigt das ak­tu­el­le Bei­spiel Na­her Os­ten: Laut dem Kiel Tra­de In­di­ca­tor des Kiel In­sti­tuts für Welt­wirt­schaft (IfW) ist durch die An­grif­fe der je­me­ni­ti­schen Hu­thi-Re­bel­len auf Han­dels­schif­fe die Fracht­men­ge, die durch das Ro­te Meer trans­por­tiert wird, dra­ma­tisch ein­ge­bro­chen. An­fang Fe­bru­ar 2024 pas­sier­ten dem­nach 80 Pro­zent we­ni­ger Con­tai­ner die wich­ti­ge Mee­res­stra­ße, als es nor­ma­ler­wei­se zu er­war­ten wä­re. Statt des kur­zen We­ges durch den Su­ez­ka­nal müs­sen die Schif­fe nun ei­nen Um­weg über das Kap der Gu­ten Hoff­nung neh­men, was den Trans­port um et­wa zwei Wo­chen ver­län­gert. Rund 10 Pro­zent al­ler welt­weit ver­schiff­ten Wa­ren sind laut dem IfW da­von be­trof­fen.

Risikoabsicherung verzweifelt gesucht

Ins­ge­samt ge­hö­ren Stö­run­gen der Lie­fer­ket­ten auch wei­ter­hin zu den Top­ge­schäfts­ri­si­ken. Im Al­li­anz Risk Ba­ro­me­ter 2024, ei­ner jähr­li­chen Be­fra­gung von mehr als 3.000 Ri­si­ko­ma­nage­ment-Ex­per­ten welt­weit, wer­den nur Cy­ber­at­ta­cken als noch grö­ße­re Ge­fahr für Un­ter­neh­men ein­ge­stuft. Um­so mehr su­chen Un­ter­neh­men nach Mög­lich­kei­ten, sich für den Fall durch Lie­fer­ket­ten­stö­run­gen be­ding­ter Pro­duk­ti­ons- oder Lie­fer­aus­fäl­le fi­nan­zi­ell ab­zu­si­chern. Das al­ler­dings ist nicht ein­fach. Zwar ver­fü­gen vie­le mit­tel­stän­di­sche Be­trie­be über ei­ne Be­triebs­un­ter­bre­chungs­ver­si­che­rung, um sich ge­gen exis­ten­zi­ell be­droh­li­che Pro­duk­ti­ons­aus­fäl­le zu schüt­zen. Da­mit sind Be­triebs­un­ter­bre­chun­gen, die aus Stö­run­gen in den Lie­fer­ket­ten re­sul­tie­ren, et­wa weil wich­ti­ge Kom­po­nen­ten für die Pro­duk­ti­on feh­len, je­doch in der Re­gel nicht ab­ge­deckt. Hier gilt es, zu­sam­men mit dem Ver­si­che­rungs­part­ner in­di­vi­du­el­le Lö­sun­gen zu fin­den.

Was Betriebsversicherungen abdecken

Die Betriebsunterbrechungsversicherung (BU) oder Ertragsausfallversicherung bietet Betrieben eine finanzielle Absicherung für Erlöseinbußen infolge von Betriebsunterbrechungen oder -beeinträchtigungen. Sie kann als Baustein der Inhaltsversicherung hinzugebucht werden und deckt dann Schäden ab, die in der Inhaltsversicherung inkludiert sind, etwa Betriebsunterbrechungen infolge von Sachschäden durch Sturm oder Feuer – auch bei einem Zulieferer. Darüber hinaus gibt es eigenständige BU-Policen mit einem größeren individuellen Leistungsumfang.

Die Betriebsschließungsversicherung kann als Baustein der BU oder eigenständig abgeschlossen werden. Sie greift bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen, die durch eine nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Krankheit oder Infektion angezeigt sind. Beim Abschluss sollte, zum Beispiel im Hinblick auf das Coronavirus oder noch unbekannte mögliche künftige Erreger, auf die tatsächlich versicherten Krankheits- bzw. Infektionsfälle geachtet werden.

Die gewerbliche oder Geschäftsinhaltsversicherung oder Inventarversicherung ersetzt finanzielle Schäden an der technischen und kaufmännischen Einrichtung sowie an Waren und Vorräten, die zum Beispiel durch Feuer, Einbruchdiebstahl und Elementarereignisse wie Flutkatastrophen entstehen.

Versicherung kann nur ein Baustein sein

In die­sem Zu­sam­men­hang ver­wun­dert es kaum, dass bei den Maß­nah­men, die Un­ter­neh­men als Re­ak­ti­on auf die Lie­fer­ket­ten­un­ter­bre­chun­gen der Co­ro­na-Pan­de­mie er­grif­fen ha­ben, Ver­si­che­run­gen eher kei­ne Rol­le zu spie­len schei­nen. In ei­ner im No­vem­ber 2023 durch­ge­führ­ten Un­ter­neh­mens­be­fra­gung des ifo In­sti­tuts ga­ben 58 Pro­zent der Be­frag­ten an, dem Ri­si­ko von Lie­fer­ket­ten­stö­run­gen mit ei­ner ver­stärk­ten Di­ver­si­fi­zie­rung ih­rer Lie­fer­be­zie­hun­gen ent­ge­gen­zu­wir­ken. 45 Pro­zent setz­ten auf ei­ne ver­stärk­te La­ger­hal­tung, 44 Pro­zent auf bes­ser über­wach­te Lie­fer­ket­ten und 34 Pro­zent auf ei­ne Um­schich­tung be­ste­hen­der Lie­fer­ver­hält­nis­se. Ei­ne Aus­wei­tung des Ver­si­che­rungs­schut­zes wur­de nicht ge­nannt.

Auf der an­de­ren Sei­te wür­den sich laut dem ak­tu­el­len Po­li­ti­cal Risk Sur­vey Re­port des glo­ba­len Be­ra­tungs­un­ter­neh­mens Wil­lis Towers Wat­son (WTW) 68 Pro­zent der in die­ser Un­ter­su­chung be­frag­ten Un­ter­neh­men mit ei­ner Ver­si­che­rung ge­gen po­li­ti­sche Ri­si­ken schüt­zen wol­len. Das Pro­blem hier­bei: Po­li­ti­sche Ri­si­ken sind kaum kal­ku­lier­bar, kön­nen ka­ta­stro­pha­le Schä­den ver­ur­sa­chen und gel­ten Ver­si­che­rern als Ku­mul­ri­si­ken, denn die Scha­de­ner­eig­nis­se be­tref­fen zu­meist vie­le Un­ter­neh­men auf ein­mal. Das ha­be den Schutz laut WTW zu­letzt deut­lich teu­rer ge­macht, wo­bei Ver­si­che­rer gleich­zei­tig die Ma­xi­mal­haf­tun­gen re­du­ziert ha­ben und er­höh­te Selbst­be­hal­te for­dern. Be­son­ders schwie­rig sei die La­ge ak­tu­ell für Un­ter­neh­men, die Be­zie­hun­gen zur Ukrai­ne, zu Russ­land oder zu Belarus un­ter­hal­ten. Aber auch Hong­kong, Tai­wan, Chi­le oder ei­ni­ge afri­ka­ni­sche Län­der sei­en zu­neh­mend von po­li­ti­schen Ri­si­ken be­trof­fen und be­ein­fluss­ten die Ver­si­che­rungs­mo­da­li­tä­ten ne­ga­tiv.

Eine umfassende Risikoanalyse ist Pflicht

Für Un­ter­neh­men, die ei­nen pas­sen­den Ver­si­che­rungs­schutz ge­gen Lie­fer­ket­ten­stö­run­gen ab­schlie­ßen wol­len, hat Fa­bi­an Ko­nop­ka, Con­sul­tant bei der Funk Risk Con­sul­ting GmbH, ei­ne kla­re Emp­feh­lung: „Auf­grund der heu­te viel­fach stark ver­netz­ten Wert­schöp­fungs­ket­ten ist die ge­naue Ana­ly­se der in­ner- wie au­ßer­be­trieb­li­chen Ab­hän­gig­kei­ten von Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen von be­son­de­rer Be­deu­tun­g“, sagt der Ri­si­ko­ma­nage­ment-Ex­per­te. Auf die­ser Ba­sis las­se sich dann der wahr­schein­li­che fi­nan­zi­el­le Höchst­scha­den durch den Aus­fall von Zu­lie­fe­rern, Pro­duk­ti­ons­stand­or­ten so­wie Ab­neh­mern be­rech­nen. Ei­ne sol­che Be­triebs­un­ter­bre­chungs­ana­ly­se sei die Vor­aus­set­zung da­für, den Ab­si­che­rungs­be­darf für Lie­fer­ket­ten­ri­si­ken pass­ge­nau er­mit­teln zu kön­nen – und so bei der Ver­si­che­rungs­po­li­ce Geld zu spa­ren.

Stand: 04/2024

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