Erst gerieten die globalen Lieferketten durch die COVID-19-Pandemie aus dem Takt und die Transportkosten explodierten. Dann führte der Russland-Ukraine-Krieg zusätzlich zu stark gestiegenen Energiekosten, unter anderem auch zu Problemen beim Bahntransport aus Asien über Russland und Belarus auf der „neuen Seidenstraße“. Zuletzt legten die Angriffe jemenitischer Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe die wichtige Handelsroute zwischen Asien und Europa über das Rote Meer teilweise lahm. Und es droht weiteres Ungemach für die globalen Lieferketten, etwa im Fernen Osten, wo eine militärische Konfrontation zwischen China und Taiwan nicht auszuschließen ist.
In diesem Umfeld ist vor allem bei deutschen Unternehmen mit Produktionsstandorten in Asien oder mit einer größeren Abhängigkeit von dortigen Lieferanten die Verunsicherung über die langfristige Resilienz ihrer Lieferketten gestiegen. Eine wachsende Zahl erwägt ein sogenanntes Reshoring oder Nearshoring, also die Verlagerung von Produktionskapazitäten und Lieferantenbeziehungen an heimische Gestade („shores“) oder in deren geografische Nähe. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) plante schon im August 2021 rund jedes zwölfte deutsche Unternehmen, Teile seiner Produktion an neue Standorte zu verlagern. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine scheint sich dieser Trend zu beschleunigen: Einer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln durchgeführten Studie aus dem Herbst 2023 zufolge planen zwei von fünf Unternehmen aufgrund geopolitischer Risiken, ihre Importe in den kommenden fünf Jahren stärker aus Ländern und Regionen zu beziehen, die geografisch näher liegen oder geopolitisch verlässlich erscheinen – häufig genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem Deutschland und Europa sowie die USA, Kanada und die ASEAN-Staaten.
Doch können Re- und Nearshoring wirklich die Lösung aller Lieferkettenprobleme sein? Wesentliche Vor- und Nachteile im Überblick: