Finanzierung

Zinsen sind wieder ein Thema

Was die Zinswende für die Unternehmensfinanzierung bedeutet.

Erstmals seit elf Jahren hat die Europäische Zentralbank (EZB) am 21. Juli 2022 die Leitzinsen erhöht, um deutliche 0,5 Prozentpunkte zum 27. Juli 2022, und damit ihre Negativzinspolitik beendet. „Die Postbank erwartet in diesem und im kommenden Jahr weitere Zinsanhebungen um jeweils bis zu 50 Basispunkte, sodass der Zinssatz für die Einlagefazilität bis Juni 2023 auf 2 Prozent klettern könnte“, sagt Dr. Marco Bargel, Senior Kapitalmarktstratege bei der Postbank. Beim Einlagezins handelt es sich um den Leitzins, zu dem die Geschäftsbanken bei der EZB bis zum nächsten Geschäftstag Geld hinterlegen können. Er gilt aktuell als der wichtigste von drei Leitzinssätzen, weil die Geschäftsbanken derzeit eher Geld bei der EZB parken müssen, anstatt sich welches auszuleihen.

Andere wichtige Zentralbanken weltweit, etwa die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Bank of England, haben ihre jeweiligen Leitzinsen zuletzt bereits mehrfach angehoben. Ziel der strafferen Geldpolitik ist, die hohe Inflation zu bekämpfen. Denn höhere Leitzinsen lassen auch die Kapitalmarktzinsen steigen. Das, so die Theorie, bremst Konsum und Investitionen und lässt die Preise fallen. Die Notenbanker müssen dabei allerdings überlegt vorgehen, denn ein zu schneller Zinsanstieg könnte die Konjunktur abwürgen. Und die steht aufgrund der stark angestiegenen Energiepreise und anhaltender Materialengpässe bereits stark unter Druck.

Mögliche Belastungen für Unternehmen

Unternehmen könnten durch zu rasche Zinserhöhungen gleich mehrfach belastet werden. Zum einen wird durch steigende Zinsen die Finanzierung wichtiger Unternehmensinvestitionen teurer. Im ersten Quartal 2022 war bereits ein Anstieg der Zinsen für neu vergebene Kredite an Unternehmen von 0,25 Prozent bis 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu beobachten – also ziemlich genau in Höhe jener ein bis zwei Leitzinsschritte, welche die EZB im März für den Sommer diskutierte. Das ist der stärkste Anstieg für Kreditzinsen seit mehr als einem Jahrzehnt. Zum anderen können genau dadurch die Nachfrage und damit die Absatzchancen für Unternehmen sinken.

„Hinzu kommt, dass sich steigende Zinsen auf den Euro/US-Dollar-Kurs auswirken könnten“, warnt Dr. Bargel. Die frühzeitigeren Leitzinsanhebungen der Fed hatten zuletzt dazu beigetragen, den US-Dollar zu stärken. Mitte Juli erreichten US-Dollar und Euro zum ersten Mal seit 20 Jahren Parität. Sollte die EZB ihren Zinsanhebungszyklus fortsetzen, dürfte das den Renditevorteil von US-Staatsanleihen gegenüber ihren europäischen Pendants jedoch wieder verringern und den Euro stützen. Dadurch könnte die Gemeinschaftswährung spürbar an Stärke gewinnen, wodurch deutsche Waren außerhalb des Euroraums teurer und Exporteure belastet werden könnten. Ein positiver Effekt dieser Entwicklung wäre für deutsche Unternehmen, dass Importe, insbesondere wichtiger in US-Dollar gehandelter (Energie-)Rohstoffe, dann günstiger werden dürften.

Zinsen und Währungen im Fokus

Für Unternehmen heißt es im Hinblick auf die erwartete Zinswende, sowohl die Zins- als auch die Währungsentwicklung in den kommenden Monaten genau im Blick zu behalten“, empfiehlt Dr. Bargel. Das gilt umso mehr, als der Kreditbedarf der Unternehmen zuletzt bereits deutlich zugenommen hat. Das ausstehende Kreditvolumen mit Unternehmen und Selbstständigen legte im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Jahresende 2021 um 2,2 Prozent beziehungsweise 33 Milliarden Euro zu und stellte damit den Kreditwachstumsrekord zu Beginn der Corona-Pandemie ein. Besonders stark angezogen hat dabei die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten. Ein Grund dafür dürfte in einem infolge der Lieferkettenprobleme und des Russland-Ukraine-Kriegs gestiegenen Finanzierungsbedarf für Betriebsmittel und Lagerhaltung liegen. Angesichts angezogener Zinserwartungen könnte es bei der Aufnahme von Krediten aber auch vorbeugende Mitnahmeeffekte gegeben haben.

Der Bankenverband erwartet, dass der Finanzierungsbedarf der Wirtschaft kurz- bis mittelfristig nochmals deutlich steigen dürfte. Gründe dafür sind notwendige Investitionen zur Bewältigung der unmittelbaren Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs, zur strategischen Neuausrichtung von Lieferketten sowie im Rahmen der nachhaltigen und digitalen Transformation der Wirtschaft. Dabei sei seitens der Banken in Bezug auf die Kreditvergabestandards mit einer Verschärfung zu rechnen, welche eine mögliche Abschwächung der konjunkturellen Dynamik sowie höhere Energiepreise einkalkuliert.

Ähnlich äußerte sich Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, anlässlich der Vorstellung der KfW-ifo-Kredithürde für das zweite Quartal 2022: „Besonders für den Mittelstand wird die Luft am Kreditmarkt allmählich dünner. Steigende Zinsen, der durch die russische Aggression verschärfte Kostenschub und eine sich abschwächende Konjunktur veranlassen die Banken, bei der Kreditvergabe vorsichtiger zu agieren.“ Die Kredithürde gibt den Prozentanteil der Unternehmen an, die das Bankverhalten in Kreditverhandlungen als „restriktiv“ einordnen. Sie zog nach längerer moderater Entspannung im zweiten Quartal 2022 für kleine und mittlere Unternehmen bereits wieder deutlich an (+3,1 Prozentpunkte auf 20,8%). Das galt für alle Branchen mit Ausnahme des Einzelhandels. Für die großen Unternehmen zeigt sich zwar insgesamt noch eine Lockerung der Kreditvergabe (-0,7 Prozentpunkte auf 13,5%), für einzelne Sektoren verschärften sich die Kreditbedingungen allerdings ähnlich stark wie bei den Mittelständlern. Das gilt insbesondere für die von den hohen Inflationsraten stark betroffenen Sektoren Einzelhandel und Dienstleistung.

Ein positiver Effekt der Zinswende immerhin könnte schon bald zum Tragen kommen: das Ende der Verwahrentgelte, im Volksmund auch Strafzinsen genannt. In einer Befragung des Magazins „Der Treasurer“ vom Juni gab eine Mehrheit der befragten Banken an, die Vorteile möglicher Zinsschritte der EZB an ihre Unternehmenskunden weitergeben zu wollen. Die Postbank senkt aufgrund der Anpassung des Referenzzinssatzes (Satz der Einlagenfazilität) durch die EZB das Verwahrentgelt für Firmenkunden zum 27. Juli 2022 um 0,5 Prozent p. a. Das Verwahrentgelt für Geschäftskunden sinkt zum 1. August 2022 ebenfalls um 0,5 Prozent p. a. Die unterschiedlichen Anpassungstermine ergeben sich aus den jeweiligen Verwahrentgeltvereinbarungen für Geschäftskunden und Firmenkunden.


Stand: Juli 2022; alle Angaben ohne Gewähr.