Für Unternehmen heißt es im Hinblick auf die erwartete Zinswende, sowohl die Zins- als auch die Währungsentwicklung in den kommenden Monaten genau im Blick zu behalten“, empfiehlt Dr. Bargel. Das gilt umso mehr, als der Kreditbedarf der Unternehmen zuletzt bereits deutlich zugenommen hat. Das ausstehende Kreditvolumen mit Unternehmen und Selbstständigen legte im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Jahresende 2021 um 2,2 Prozent beziehungsweise 33 Milliarden Euro zu und stellte damit den Kreditwachstumsrekord zu Beginn der Corona-Pandemie ein. Besonders stark angezogen hat dabei die Nachfrage nach kurzfristigen Krediten. Ein Grund dafür dürfte in einem infolge der Lieferkettenprobleme und des Russland-Ukraine-Kriegs gestiegenen Finanzierungsbedarf für Betriebsmittel und Lagerhaltung liegen. Angesichts angezogener Zinserwartungen könnte es bei der Aufnahme von Krediten aber auch vorbeugende Mitnahmeeffekte gegeben haben.
Der Bankenverband erwartet, dass der Finanzierungsbedarf der Wirtschaft kurz- bis mittelfristig nochmals deutlich steigen dürfte. Gründe dafür sind notwendige Investitionen zur Bewältigung der unmittelbaren Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs, zur strategischen Neuausrichtung von Lieferketten sowie im Rahmen der nachhaltigen und digitalen Transformation der Wirtschaft. Dabei sei seitens der Banken in Bezug auf die Kreditvergabestandards mit einer Verschärfung zu rechnen, welche eine mögliche Abschwächung der konjunkturellen Dynamik sowie höhere Energiepreise einkalkuliert.
Ähnlich äußerte sich Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, anlässlich der Vorstellung der KfW-ifo-Kredithürde für das zweite Quartal 2022: „Besonders für den Mittelstand wird die Luft am Kreditmarkt allmählich dünner. Steigende Zinsen, der durch die russische Aggression verschärfte Kostenschub und eine sich abschwächende Konjunktur veranlassen die Banken, bei der Kreditvergabe vorsichtiger zu agieren.“ Die Kredithürde gibt den Prozentanteil der Unternehmen an, die das Bankverhalten in Kreditverhandlungen als „restriktiv“ einordnen. Sie zog nach längerer moderater Entspannung im zweiten Quartal 2022 für kleine und mittlere Unternehmen bereits wieder deutlich an (+3,1 Prozentpunkte auf 20,8%). Das galt für alle Branchen mit Ausnahme des Einzelhandels. Für die großen Unternehmen zeigt sich zwar insgesamt noch eine Lockerung der Kreditvergabe (-0,7 Prozentpunkte auf 13,5%), für einzelne Sektoren verschärften sich die Kreditbedingungen allerdings ähnlich stark wie bei den Mittelständlern. Das gilt insbesondere für die von den hohen Inflationsraten stark betroffenen Sektoren Einzelhandel und Dienstleistung.
Ein positiver Effekt der Zinswende immerhin könnte schon bald zum Tragen kommen: das Ende der Verwahrentgelte, im Volksmund auch Strafzinsen genannt. In einer Befragung des Magazins „Der Treasurer“ vom Juni gab eine Mehrheit der befragten Banken an, die Vorteile möglicher Zinsschritte der EZB an ihre Unternehmenskunden weitergeben zu wollen. Die Postbank senkt aufgrund der Anpassung des Referenzzinssatzes (Satz der Einlagenfazilität) durch die EZB das Verwahrentgelt für Firmenkunden zum 27. Juli 2022 um 0,5 Prozent p. a. Das Verwahrentgelt für Geschäftskunden sinkt zum 1. August 2022 ebenfalls um 0,5 Prozent p. a. Die unterschiedlichen Anpassungstermine ergeben sich aus den jeweiligen Verwahrentgeltvereinbarungen für Geschäftskunden und Firmenkunden.
Stand: Juli 2022; alle Angaben ohne Gewähr.