Knapp zehn Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland sind selbstständig tätig oder Inhaber kleiner Firmen – gemeinsam kommen sie auf vier Millionen Menschen. Etliche von ihnen sehen sich aufgrund der coronabedingten Einschränkungen in prekärer finanzieller Lage. Berufliche Existenzängste, Stress und Überforderung sowie daraus resultierende private Sorgen – all das belastet. Selbstfürsorge ist jetzt wichtiger denn je: Mit Achtsamkeit tun Sie sich selbst etwas Gutes.
Achtsamkeit lernen – wie bewältige ich die Krise?
Wie geht es Selbstständigen heute, was belastet sie?
Eine Publikation des DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) mit dem Titel „Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbstständige“ zeichnet ein beunruhigendes Bild:
- 60 Prozent aller Selbstständigen erlitten Einkommensverluste. Im Vergleich dazu: Bei den abhängig Beschäftigten lag der Anteil bei rund 15 Prozent.
- Bei etwa der Hälfte der Selbstständigen, die durch die Krise negativ getroffen wurden, reichten die Liquiditätsreserven nur noch für bis zu drei Monate.
- 12 Prozent der Befragten gaben an, dass sich ihre Arbeitsstunden erhöht hätten (durchschnittlich um 11 Stunden in der Woche).
- Bei rund der Hälfte schlug sich eine verringerte Auftragslage hingegen in einer deutlich reduzierten Arbeitszeit nieder. Im Durchschnitt arbeiteten sie 16,5 Stunden weniger in der Woche.
Alles in allem lässt sich der Schluss ziehen, dass viele Selbstständige durch die Corona-Krise hohen Belastungen ausgesetzt sind – was sie anfälliger für psychische Erkrankungen wie Depressionen macht. Was manchen in die Knie zwingt, steckt ein anderer jedoch besser weg: Das liegt an Denkmustern und Persönlichkeitsmerkmalen– in der Psychologie nennt sich das Resilienzfaktoren. Achtsamkeit gilt als wichtiger Schlüssel, um die eigene Resilienz zu stärken.
„Mindfulness“ – wie ein Lifestyle-Trend Sie besser durch die Krise bringt
Wenn Sie Achtsamkeit üben, lassen Sie sich mit Ihren Sinnen auf das Hier und Jetzt ein: Dabei nehmen Sie Ihren Körper, Ihre Gefühle und Ihre Gedanken wahr, ohne Ihre Wahrnehmungen zu bewerten. Sie erleben den Augenblick also, wie er sich gerade entfaltet. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Sie hängen weder Ihren Gedanken aus der Vergangenheit nach, noch zerbrechen Sie sich den Kopf über Ihre Sorgen.
Mindfulness – das englische Pendant zu Achtsamkeit – ist eines der Buzz-Wörter der aktuellen Zeit. Neu ist der Trend aber nicht: Das Konzept basiert auf Jahrtausende alten, buddhistischen Lehren. Im Zen-Buddhismus dient Achtsamkeit als eine der sieben Voraussetzungen, um Leiden zu überwinden.
Achtsamkeitstraining gilt aus medizinischer Sicht als sinnvoll, die positive Wirkung wurde bereits durch wissenschaftliche Studien belegt. Eine bewährte Methode nennt sich Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), zu Deutsch: Stressreduktion durch Achtsamkeit. Die Technik wird im therapeutischen Bereich unter anderem dazu eingesetzt, um Schmerzpatienten zu helfen. Es gibt zudem Kurse, die MBSR-Training zur Stressbewältigung lehren.
Forscher konnten durch bildgebende Verfahren (MRT) belegen, dass Achtsamkeitsmeditation das Gehirn verändert: Das Angstzentrum (der Mandelkern) wird kleiner. Dafür wachsen die Hirnbereiche, die für Gedächtnisfunktion und Aufmerksamkeit zuständig sind. Außerdem erscheint der orbifrontale Kortex, der für emotionale Bewertungen eine Rolle spielt, modifiziert.
Warum ist mehr Achtsamkeit im Alltag nötig?
Stress und Ängste mobilisieren das Gehirn und können den menschlichen Körper kurzfristig zu Höchstleistungen befähigen. Es kommt jedoch auf die Dosis an. Wer sich zu viel sorgt, kann die Kontrolle über seine Gedanken verlieren – er fühlt sich durch die Angst buchstäblich gelähmt und neigt zum Tunnelblick. In diesem Zustand fällt es dem Betroffenen schwer, rational berufliche Entscheidungen zu treffen und sich agil auf Veränderungen einzustellen.
Achtsamkeit kann Sie dabei unterstützen, Ihren Fokus wieder auf das Wesentliche zu richten und Ihre Resilienz – das „Immunsystem der Seele“ – zu stärken.
Was Sie besonders interessieren dürfte: Die Fähigkeit, achtsam zu sein, lässt sich erlernen.
Gehen Sie achtsamer mit sich um – 5 Techniken zur Stressbewältigung
Über das eigentliche MBSR-Achtsamkeitstraining hinaus gibt es verschiedene Techniken, um mental gestärkter durch die Krise zu kommen. Psychologen, Achtsamkeitstrainer und Mentalcoaches raten zu den folgenden Strategien.
Tipp 1: Umgang mit Krisen erlernen: 3-Schritt-Formel
Schreiben Sie zunächst auf, was Sie belastet – sowohl Fakten, wie etwa sinkende Umsatzzahlen, als auch Ihre Emotionen. Wenden Sie dann die Formel „Change it, love it or leave it" (Ändere es, akzeptiere es oder lasse es los) an:
- Identifizieren Sie Bereiche, die Sie aktiv ändern können: Möglicherweise erreichen Sie mehr Kunden, wenn Sie Ihre Online-Präsenz durch Social Media verbessern.
- Lernen Sie, Aspekte zu akzeptieren, die Sie nicht ändern können.
- Verbleiben Punkte auf der Liste, die Sie weder ändern noch akzeptieren können – dann verabschieden Sie sich davon. Wenn Sie Ihre Selbstständigkeit auf Dauer belastet und Sie die Situation nicht ändern können, sind Alternativen dazu vielleicht der bessere Weg.
Tipp 2: Krise als Chance erkennen und Potenziale nutzen
Krisen schaffen Gelegenheiten, über den Status quo nachzudenken und Neues zu wagen. Eine derartige Ausnahmesituation kann einen Anstoß dazu geben, etwas im Leben positiv zu verändern. Wenn Ihnen gerade ein Auftraggeber absagt, ist das ärgerlich – Sie haben dadurch aber mehr Zeit, beispielsweise Ihre Digitalisierungsstrategie zu überdenken und Ihr Unternehmen fit für die Zeit nach der Pandemie zu machen. Resilienz-Trainer sprechen hier von „Positive Appraisal“: Wie wir eine Situation bewerten, entscheidet darüber, ob wir uns durch sie negativ gestresst fühlen oder nicht.
Tipp 3: „Werkzeuge“ für den Alltag
Um Achtsamkeit zu trainieren, brauchen Sie nicht immer gleich die Yogamatte auszubreiten und in Mediation zu versinken. Halten Sie für einen Moment inne und konzentrieren Sie sich auf das, was Sie in diesem Augenblick machen – ob Sie gerade die Fenster putzen, Gemüse schneiden oder einfach nur den Blick in die Ferne schweifen lassen. Nehmen Sie bewusst wahr, wie es Ihnen geht. Bewerten Sie aber nicht, ob das gut oder schlecht ist.
Eine weitere gute Technik für den Alltag ist bewusstes Atmen: Nehmen Sie einen tiefen Atemzug und spüren Sie, wie Sie sich entspannen. Sie können Ihren Atem auch hin und wieder dabei beobachten, wie er von alleine kommt und geht.
Tipp 4: Resilienz stärken – durch einfache Techniken
Resiliente Menschen bewältigen Krisen besser, denn sie sind psychisch widerstandsfähiger. Ihre Resilienz können Sie mithilfe verschiedener Strategien verbessern: Denken Sie beispielsweise zurück an Ereignisse in der Vergangenheit, in denen Sie Schicksalsschläge und Krisen erlebt haben. Reflektieren Sie und fragen Sie sich, was Ihnen damals geholfen hat und wer an Ihrer Seite stand.
Tipp 5: MBSR-Seminar belegen und Achtsamkeit trainieren
Beim MBSR-Training lernen Sie durch gezielte Übungen, wie Achtsamkeit funktioniert: So steigern Sie etwa beim Bodyscan Ihre Körperwahrnehmung, die Ihnen hilft, Stressreaktionsmuster zu erkennen.
Gönnen Sie sich seelisch wie körperlich wichtige Auszeiten. Nur so können Sie langfristig erfolgreich mit Ihrem Unternehmen durchstarten.